Als in den
beiden Weltkriegen ein großer Teil der arbeitsfähigen männlichen
Bevölkerung von Cunnersdorf zur Wehrmacht einberufen war, wurden
Kriegsgefangene und Deportierte aus besetzten Gebieten als
Zwangsarbeiter in den landwirtschaftlichen Betrieben eingesetzt. So waren
z.B. im Herbst 1941 insgesamt 36 französisch-sprachige Kriegsgefangene in
Cunnersdorf untergebracht, 25 Belgier und 11 Franzosen.
Diese
Geschichte wurde wieder lebendig, als sich im Frühling des Jahres
2007 Herr Christian Patart, der Sohn eines dieser belgischen
Kriegsgefangenen zu einem Besuch in Cunnersdorf anmeldete und dem
Heimatverein umfangreiche historische Materialien zur Verfügung
stellte.
Sein Vater, Richard Patart, war
von 1940-1945 deutscher Kriegsgefangener und musste vom Juni 1940 bis zum
Dezember 1941 in Cunnersdorf arbeiten.
Bild:
Richard Patart ganz rechts (1941)
(Foto in höherer Auflösung
ca. 500 kByte)
Richard
Patart wurde im August 1920 in
Charleroi geboren. Er ist 19 Jahre alt, als er seinen Wehrdienst
antritt. Er wird am 1. Februar 1940 dem Festungsregiment von
Namur
zugewiesen und wird Artillerist in der Festung von Sankt-Heribert bei
Bois-de-Villers. Der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Belgien
beginnt am 10. Mai. Die Festung wird am 16. Mai durch das 317.
Infanterieregiment der Wehrmacht umzingelt und kapituliert am 21.
Mai. Alle Männer der Garnison werden in Gefangenschaft geführt.
Am 27. Mai
kommt Richard Patart im
Kriegsgefangenenlager "Stalag IV B" in Mühlberg an. Am 12.
Juni wird er nach Hohnstein in das "Stalag IV A" überführt, von wo er am 27. Juni nach Cunnersdorf kommt. Er arbeitet dort bis zum 2. Dezember 1941 im
Bauernhof von Martin Vogler. An diesem Tag wird er nach Bärenstein
geschickt, wo er in einer metallurgischen Werkstatt bis zum 3.
Februar 1943 arbeitet. Danach arbeitet er in Dresden in der
Uhrenindustrie bis zum 13. Februar 1945. Sein Arbeitskommando war in
der Wormser Strasse untergebracht. Er überlebt die Bombardierung.
Nachdem er den Opfern zu Hilfe gekommen war und die Toten verbrennen
half, kehrte er nach Hohnstein zurück. Von der sowjetischen Armee
wird er in Teplice am 8. Mai 1945 befreit. Er kehrt nach Belgien am
20. Mai zurück.
Richard
Patart heiratet im Juni 1946. Er hat zwei Kinder, im März 1947 und im
November 1950. Von 1946 bis 1980 ist Richard Patart Kaufmann in
Châtelet in der Nähe von Charleroi, seine Geburtsstadt. Er stirbt im
Oktober 1988. Er wäre gern noch einmal nach Cunnersdorf gekommen,
aber die deutsche Teilung hatte dies verhindert.
Während er
Kriegsgefangener war, schrieb Richard Patart sehr regelmäßig an seine
Eltern. Der größte Teil dieser Korrespondenz ist erhalten geblieben.
Sie besteht aus etwa 300 Briefen und Postkarten. Ungefähr sechzig
davon beziehen sich auf die Zeit, die er in Cunnersdorf verbracht
hat. In diesem Briefwechsel deutet Richard Patart vor allem
persönliche Belange an, aber er schreibt auch von seinem täglichen
Leben im Dorf und auf dem Gut Vogler, ebenso von der Beziehung,
welche er mit seinem Brotherrn unterhält. Hier sind einige relevante
Auszüge:
Mir
geht es gut. Ich arbeite bei einem Bauern wie bei einem Freund. […]
Am 27. August werden es zwei Monate sein, dass ich auf dem Gut
arbeite. Zu meinem Geburtstag hat mich mein Arbeitgeber auf ein Glas
eingeladen, ebenso wie ein deutscher Soldat, der sehr freundlich zu
uns ist. Das sind sie übrigens alle. (13.8.1940)
Es hat
zu schneien begonnen… (27.10.1940)
Ich
gebe gut auf meine Gesundheit acht. Ich habe gut zu essen, bin im
Warmen und ich arbeite viel… (8.12.1940)
Es ist
sehr kalt hier, es liegt mindestens einen Meter Schnee […] Ich bin
immer noch auf demselben Hof. Ich gebe auf die Kälte acht… (5.1.1941)
Ich bin
immer noch guter Gesundheit und ich hoffe, das Glück zu haben, bald
zu euch zurückzukehren. Man hat uns versichert, dass Serben kommen
werden, um uns zu ersetzen. […]
Hier ist mein Tagesablauf: Wecken um 5:30 Uhr, außer sonntags 6:30
Uhr. Ich beginne in der Woche um sechs Uhr mit der Arbeit. Ich
versorge die Pferde. Ich mache um sieben Uhr das Frühstück. Die
folgenden Mahlzeiten sind um zehn, dreizehn, siebzehn und neunzehn
Uhr. Ich habe also gut zu essen. Wenn das Wetter schön ist, gehe ich
auf die Felder. Ich versorge um elf und um 18 Uhr die Kühe. Pro Woche
habe ich etwa vier bis viereinhalb Kilogramm Brot. Immerhin, als
Gefangener geht es mir gut. Körperlich gesehen geht es. Nur moralisch
gesehen gibt es Tage, da geht es nicht. Das ist abhängig von […] Hier
schneit es noch… (11.5.1941)
Ich war
in Dippoldiswalde im Theater, gestern, am Sonntag, um ein Schauspiel,
das uns von der Stalag IV A-Truppe geboten wurde, zu sehen. Wir haben
drei Stunden lang gelacht. Das war das erste Mal seit dreizehn
Monaten… (23.6.1941)
Hier
ist es sehr heiß: Gestern 41°. Ich habe das Heu eingefahren: 41
Wagen! … (27.7.1941)
Gestern, am 26. August gab es ein schreckliches Gewitter. Ich habe
nie etwas Ähnliches gesehen. Ein großes Gut im Dorf stand in Flammen.
[…] Hier waren sechs Tage Hitze im Monat August, an den anderen Tagen
Regen und Wind. Am 10. und 12. August haben wir problemlos Wollsachen
getragen… (17.8.1941)
Hier
ist auch schlechtes Wetter […]. Wir sind jetzt 12 Belgier und 11
Franzosen im Dorf bei den Gehöften… (31.8.1941)
Mir
geht es immer noch gut auf de Hof, bin immer noch gut genährt…
(7.9.1941)
Ich
habe heute hart gearbeitet, ich habe den Hafer eingebracht, aber mir
geht es gut auf dem Hof, ich hatte Zigaretten, Bier, Limonade. Die
Bauern sind nett. Seit ich da bin, konnte ich mich nicht beschweren.
(21.9.1941).
Und der
kleine Jojo [der Großvater mütterlicherseits], ist er immer noch fit?
Am Sonntag, nach dem Gang zur Messe, wird er seinen Krug Bier
trinken. In diesem Moment werde ich, in Deutschland, die Pferde,
Kühe, Stiere versorgen. Ich trinke auch jeden Tag meinen Krug Bier in
der Herberge, wo wir schlafen. Uns geht es gut auf den Gehöften. Die
Bauern sind nett. Die Wachen sind auch gut. Als Gefangener habe ich
keinen Grund zu klagen, außer manchmal aus moralischer Sicht. Ich bin
gut ernährt, in guter Unterkunft, gut gewaschen… (28.9.1941)
Heute
ist Erntedankfest: ein schöner Tag, sehr warm, Bier, Wein, Geld,
Kuchen […] Schon 17 Monate, dass ich Gefangener bin. Trotzdem halte
ich mich immer gut […] und auch hier trinke ich mein Bier…
(5.10.1941)
Wir
haben die Kartoffelernte beendet. Jetzt sind die Rüben dran. Ich
erhielt erneut die Zeitung von Charleroi mit den
Fußballmeisterschaften. Ich spiele hier auch jeden Sonntagnachmittag
Fußball. Wir haben einen Ball und einen Platz. Im Moment sind wir 25
Belgier und 11 Franzosen… (2.11.1941)
Unten
ein Artikel, der in der Zeitung von Charleroi erscheinen soll,
vergesst nicht, unsere Namen darunter zu setzen […]: Patart, Richard
aus Châtelet; Falla, Albert aus Namur; Prignon, Edmond aus Ciney;
Benoit, René aus Aisemont; Hautier, René aus Cerfontaine; Broecks,
Jean aus Liège; Willems, Willy aus Doische; Lallemant, René aus
Sart-en-Fagne; Sluse, Désiré aus Verviers; Herbret, René aus Aubrives;
alle aus der Festung Namur, Gefangene im Stalag IV A… (30.11.1941)
Gut,
liebe Eltern, […] ich bin am 2.12. von meinem Lager in ein anderes
gewechselt. Ich arbeite nicht mehr auf den Bauernhöfen. Ich bin in
einer Metallfabrik, wo ich mehr oder weniger in meinem Beruf arbeite:
Ich mache kleine Justierungen […] Ich bin zufrieden, denn auf den
Gehöften ist die Arbeit hart. Ich bin etwa 15 km von meinem alten
Lager entfernt […] Ich habe noch zu essen, mehr noch sogar als auf
den Höfen. Auf dem Bauernhof, wo ich war, haben die Bauern geweint,
als ich abreiste: 17 Monate dort! Ich habe Fotos vom Hof bekommen […]
Ich umarme euch ganz doll zum Neuen Jahr. Euer großer Sohn Richard
(7.12.1941)
Richard
Patart hat mehrere Male Photographien an seine Familienmitglieder
gesendet. Nach seinen mündlichen Berichten wurden diese Photographien
durch die Wachen auf Antrag der Gefangenen gemacht, damit diese sich
ihren Familien zeigen können. Die Photographien wurden aufbewahrt und
sind Richard Patart nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft
übergeben worden. Sie existieren immer noch. Es sind meist
Photographien, die Gruppen von Kriegsgefangenen zeigen. Sie sind an
mehreren Stellen des Dorfes aufgenommen worden. Als Richard Patart
Cunnersdorf verlassen musste, erhielt er von der Familie Vogler drei
Photographien des Bauernhofes und ein Bild von Gotthard, dem Sohn von
Martin Vogler. Er hat diese Photographien mit nach Belgien
zurückgebracht. Sie werden von seinem Sohn Christian Patart noch
immer aufbewahrt.
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