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                 Fotomontage auf Basis der Bilder von Max Schöne - Glashütte 1927
 Text: Sächsische Zeitung vom
                07.09.2002 Die Erinnerungen sind wieder wach
                 1927 suchte eine Flut die Täler der
                Gottleuba und der Müglitz heim. 75 Jahre später gleichen sich
                die Bilder auf erschreckende Weise.
                 Frank Tausch
                 „Die Schreckensnacht ging zu Ende. Es kam der
                Morgen und mit ihm das Furchtbarste. (...) In grausamer
                Unerbittlichkeit enthüllt der junge Tag dem entsetzten Auge
                Bilder dämonischer Zerstörung. Zagend irrt der Blick im zertrümmerten
                Tale, und nur widerstrebend vermag Menschengeist das
                entsetzliche Vernichtungswerk zu fassen. (...) Verschwunden sind
                Wege und Brücken, Mühlen und Häuser zerstört, Bäume und Sträucher
                abgetrieben. Das Bachbett ist zugeschüttet. In den fruchtbaren
                Wiesenauen gähnen tiefe Löcher und gurgelnde Schluchten.
                Dazwischen trostlose Trümmerflächen von Steingeröll und
                riesenhaften Felsblöcken. Haushohe Haufen entwurzelter Bäume,
                untermischt mit Resten menschlicher Wohnstätten, mit Stämmen,
                Brettern und Balken, mit Hausrat und Geräten, alles verfilzt
                und verkittet mit angeschwommenem Heu.“
                 144 Menschen starben in jener Nacht vom 8. zum
                9. Juli 1927 in den Tälern der Müglitz, der Gottleuba und der
                Seidewitz, festgehalten sind diese Erinnerungen in einem Heft
                des Landesvereins sächsischer Heimatschutz aus eben diesem
                Jahr. Wenn auch die Sprache etwas antiquiert scheint, Bilder und
                Texte könnten von heute stammen.
                 Die Hochwassermarke aus jener Nacht 1927 ist längst
                mit Patina überzogen. Über zwei Meter hoch hängt sie an dem
                großen roten Ziegelbau, dem ehemaligen Gaswerk in Glashütte.
                Dahinter und davor trostlose Trümmerflächen von Steingeröll.
                Die Schienen der Eisenbahn an der Brücke taumeln in der Luft,
                einen großen entwurzelten Baum hat die Flut wie einen Pfeil
                waagerecht in eine Baumgruppe gerammt. Tiefe Löcher gähnen in
                der Stadt. „Die Hochwassermarke war für uns ein
                geschichtliches Zeichen“, sagt Lothar Härtel mit Blick auf
                die kleine Plakette. Freilich, 1957 kam noch ein Hochwasser die
                Müglitz entlang, aber ohne die zerstörerische Wut. Dann floss
                die Müglitz jahrzehntelang brav in ihrem Bett. Die Gefahr war
                aus dem Bewusstsein, „wir hatten andere Probleme, andere Eindrücke,
                mit denen man fertig werden musste“, sagt Lothar Härtel.
                 Lernen solle man aus dem Wasser, heißt es in
                dem Heftchen. Wald fehlt auf dem Kamm. Wald, der den Regen am Blätterdach
                zerstäubt und den Abfluss hemmt. Der zu pflanzende Wald soll
                nicht Wirtschaftswald, sondern Schutzwald sein, mahnt
                Oberforstmeister Pause vor 75 Jahren. Gleichaltrige Fichtenbestände,
                deren Nadelschicht Regen- und Schmelzwasser glatt darüber
                hinwegrieseln lässt, sei kein Schutzwald. Der Abfluss des
                Wassers soll ungehindert geschehen, schreibt Regierungsbaurat
                Dreyer 1927. „Man darf nicht davor zurückschrecken, zu enge
                Brücken- und Wehröffnungen zu erweitern, gefährliche Anlagen
                ganz zu entfernen. Vorsorglich muss natürlich der Einbau von Häusern
                und Lagerplätzen in das gefährdete Gebiet unterbunden werden.
                Scharfe Flusskrümmungen sind abzuflachen. Zur Absenkung des
                Hochwasserspiegels kommen ferner lokale Flussbettverbreiterungen
                in Betracht.“ Und zur Forderung nach Talsperren gibt
                Oberstudienrat Wagner zu bedenken: „Ob es uns jemals gelingen
                wird, ein Katastrophenhochwasser wie das zuletzt erlebte, hinter
                Sperrmauern abzufangen ... – das ist eine andere Frage.“
                 Lothar Härtel betreibt eine Autowerkstatt im
                ehemaligen Gaswerk, ein Familienbetrieb, vom Vater übernommen.
                Erfolgreich überlebte er die Wende, baute den Betrieb aus. Bis
                am 12. August die Sirene heulte in Glashütte und ein
                Feuerwehrmann vorbeigehetzt kam an der Werkstatt der Härtels.
                „Rettet, was zu retten ist, der Damm bricht gleich“, rief er
                der Familie zu. Mit seinem Sohn fuhr Lothar Härtel noch
                Kundenautos bergauf, zwei hob er auf den Hebebühnen so hoch wie
                möglich. Computer und Prüfgeräte räumte er nach oben, doch
                dann saß die Familie selber fest. Mit reißender Strömung kam
                die Müglitz und schloss die Härtels ein, etwa einen Meter hoch
                stand das Wasser in ihrem Betrieb. Bis zum Abend sahen sie keine
                Menschenseele, nur steigendes Wasser.
                 „Das rauschende Tal brüllt, ins Brausen
                mischt sich Poltern, es hämmert, es schlägt, es kracht. ( ...)
                Unbekannte Töne, nie gehörte Laute schmettern durchs Ohr in
                die Menschenseele.(...) Klein, ohnmächtig, hilflos lauscht der
                Mensch dieser urgewaltigen Sprache der Natur. Jetzt wollte
                manches Herze zagen, manches Auge füllten Tränen.“
                 Ja, ich hatte Angst, sagt Lothar Härtel.
                „Diese Geräusche, die das Wasser machte, ekelhaft, hässlich.
                Ein Rauschen, ein Poltern, ein dumpfes Dröhnen.“ Am Abend
                schließlich kamen Feuerwehrleute den Hang entlang, doch die Strömung
                war viel zu reißend, um zu den Härtels vorzudringen. Ein
                Hubschrauber holte sie schließlich gegen 20 Uhr vom Dach,
                nachdem der Sohn ein Loch hineingeschlagen hatte. Später in der
                Nacht riss die Müglitz den großen Giebel des Hauses weg. Blaue
                Plastebahnen hängen nun davor. Autos stehen wieder in der
                Werkstatt. „Mit meinen 61 Jahren hätte ich nicht wieder
                angefangen, da ist mein Leben zu kurz,“ sagt Lothar Härtel.
                Doch sein Sohn, Kfz-Meister wie er, wird den Familienbetrieb
                weiterführen.
                 Die Erinnerungen an Erzählungen waren wieder
                da. Als die Sirene ging in Glashütte, da zögerte Jürgen Klemm
                nicht lange. „Holt den Opa“, rief der 51-Jährige und die
                Familie fuhr den Berg hinauf, „gerade noch rechtzeitig, uns
                kamen schon faustgroße Steine entgegengerollt.“ Jürgen
                Klemms Mutter war im Juli 1927 noch ein Kind. Feuerwehrleute
                zogen sie aus dem unteren Stockwerk nach oben, als die Müglitz
                kam. Die Mutter seiner Mutter gebar in jener Nacht ein Kind.
                „Wenn der Bach voll ist, dann dauert es nicht lange und das
                Wasser kommt die Straße hinab“, hatten die Alten gesagt.
                Daran hat sich Jürgen Klemm gehalten. Schnell hat seine Frau
                die Bücher und die Fotos zur Hand, mit Erinnerungen an die Müglitz-Hochwasser.
                Manchmal haben sie darin geblättert, nach der Flut gemeinsam
                mit den Helfern, die dem Blumengeschäft der Klemms wieder auf
                die Beine halfen, den Schlamm und den Schwemmsand beiseite
                schafften in den letzten Wochen und Tagen.
                 „Eine Hilfeleistung von kaum jemals erlebtem
                Zusammenklang menschlicher und technischer Kräfte hat noch
                unter dem Wüten der entfesselten Elemente begonnen, gefährdete
                Menschen, ihre Häuser und ihre bewegliche Habe zu retten und
                die tiefgerissenen Löcher und Furchen (...) wieder zu
                beseitigen.“
                 „Wir hatten so viele Helfer, unglaublich, sagt
                Brigitte Klemm. „Manchmal saßen 20 Frauen bei uns und haben
                die Vasen abgespült vom Geschäft und saubergemacht. Das sah ja
                alles aus“, sagt die Frau.
                 Mit Pferdewagen hat der Großvater 1927 für die
                Gärtnerei neue Erde herangeschafft, die Flut damals hatte den
                fruchtbaren Boden weggerissen. Auch jetzt ist das Grundstück
                der Klemms wieder eine Trümmerwüste, die Müglitz hat fünf
                Meter vom Ufer abgeknapst und Lagerräume und Garage
                verschlungen. Mutterboden aber muss Jürgen Klemm diesmal nicht
                herbeischaffen, die Gärtnerei gibt es nicht mehr, das Grundstück
                ist verkauft und mit einem Edeka-Markt bebaut. Das Geschäft
                wird weitergehen, auch wenn es unter Wasser war und die Klemms
                ihre zerstörten Gestecke und Zapfen , Bänder und Schleifen
                drei Kilometer flussab gesehen haben.
                 „Flutkinder“ – so hießen die drei
                Klassenkameraden, mit denen Isolde Fischer zur Schule ging.
                „Flutkinder“, weil sie in jener Nacht 1927 in Glashütte
                geboren wurden. Ein Fotogeschäft betreibt die 74-Jährige, übernommen
                vom Vater. Der hat damals Fotos gemacht, die aber im Krieg
                vielfach verlorengingen. Isolde Fischer hat vor drei Wochen auch
                fotografiert, als das Wasser die Straße entlangschoss, vorbei
                an ihrem Fotogeschäft. Abzüge davon möchte nun ein älterer
                Herr, der gerade den Laden betritt. Er will sie Spendern als
                Dankeschön zu schicken. Über 24 Stunden lief das Wasser, sagt
                Isolde Fischer. „Der Strom war weg, das Telefon ausgefallen.
                Das Wasser hätte nie ins Rückhaltebecken gepasst. Und dass der
                Damm gebrochen ist – der war nach dem Dauerregen aufgeweicht
                und außer Mähen hat auch keiner so richtig was dran
                gemacht.“
                 „Abgeschlossen von der Außenwelt, ohne Straßen,
                ohne Brücken, ohne Licht, ohne Fernsprecher, die meisten auch
                ohne Trinkwasser, liegt das Dörflein inmitten des in Trümmer
                gesunkenen Tales. Was bedeutet’s, daß einzelne Menschen durch
                die Lüfte sich tragen lassen (...), wenn diese grandiose
                Erfindung nicht die Aufgabe hat Kunde zu holen und Hilfe zu
                bringen, wo Menschenleben in Gefahr und Volk in Not ist.“
                 Die Nachbarin der Härtels etwa musste die Nacht
                in ihrem Haus ausharren. Die ältere Dame wurde erst am Morgen
                geborgen, aus einem fast völlig weggerissenen Haus, weil die
                Hubschrauber nicht mehr fliegen konnten.
                 „Was bedeutet’s, dass uns im entlegenen
                Gebirgstal der Rundfunk Pariser Operetten (...) hören ließ,
                wenn seine Zauberwellen es nicht vermögen, Warnungs- und
                Hilferufe dahin zu tragen, wo Menschenleben in Gefahr und Volk
                in Not ist. Was gelten die Wunderwerke großstädtischer
                Fernsprechzentralen, (...) wenn die sichere Sprechleitung talabwärts
                fehlt. Seit Jahren rief man nach einer Talsperre. – Dachte
                niemand daran, einen sicheren Wassermeldedienst zu Tale
                einzurichten, zum Heile der dort wohnenden Menschen? Zu spät
                ist es“ – So hieß es 1927.
                 „Selbstverständlich fragt sich nun der
                Mensch, ob es nicht doch in seiner Macht gestanden hätte, der
                Gewalt der Elemente zu steuern, zum mindesten, den Fluch des
                Verhängnisses abzuschwächen. Solche Erwägungen haben nur
                praktischen Wert, wenn sie sich in den Dienst der Zukunft
                stellen. Heute, nachdem wir den Ärmsten der Armen unser Mitgefühl,
                unsere Hilfsgelder und Liebesgaben darreichten, gilt es nichts
                anderes als alles daranzusetzen, eine Wiederholung solchen Unglücks
                (...) mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhüten.“
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